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AutorenbildMarkus Hörrlein

Einsamkeit nach der Pandemie

Diese Spätfolge ist unsichtbar


Lesen, Stricken, Schlafen: Im Lockdown haben die Menschen gelernt, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Vielleicht zu gut.

Früher, sagt Beate Schimichowski, sei sie viel unterwegs gewesen. Dreimal pro Woche Fitnessstudio, nach der Arbeit Kaffeetrinken mit Freundinnen, am Wochenende Kino oder Theater. "Ich war ein Mensch, der Impulse gegeben hat", sagt sie, "ein verbindendes Glied." Dann kam die Pandemie. Und das Leben von Beate Schimichowski veränderte sich. Erst schleichend. Heute sagt sie: "Ich fühle mich nicht mehr so verbunden mit anderen Menschen."


        

Mit diesem diffusen Gefühl ist Beate Schimichowski nicht allein. In einer repräsentativen YouGov-Umfrage gab schon 2022 etwa ein Drittel der Befragten in Deutschland an, ihre Freundschaften seien während der Pandemie weniger eng geworden. Inzwischen ist die Pandemie samt Kontaktbeschränkungen vorbei. Doch viele Menschen finden nicht zurück in ihr Sozialleben von früher. Haben die Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung Freundschaften verändert, womöglich sogar unwiederbringlich zerstört?

        

Beate Schimichowski, 58 Jahre alt, sitzt in ihrem Bielefelder Wohnzimmer, gemeinsam mit ihrem Mann lebt sie hier am Rand der Innenstadt. Die Kinder sind längst ausgezogen, jetzt sind sie zu zweit. 33 Stunden pro Woche arbeitet Schimichowski als stellvertretende Pflegeleitung in einer Klinik, gelegentlich passt sie auf ihr Enkelkind auf, das bald drei Jahre alt wird. Und dennoch fehlt ihr das soziale Leben jenseits von Familie und Beruf. "Die Leichtigkeit und Spontaneität, die ich mal hatte, sind weggebrochen", sagt sie.   

                                        

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Im Gespräch nimmt Schimichowski immer wieder den schweren Stein ihrer Silberkette in die Hand, die über ihrem schwarzen Rollkragenpullover baumelt. Statt im Fitnessstudio, erzählt sie, mache sie nun ihre Sportübungen mit YouTube-Videos zu Hause. Ohnehin verbringt sie jetzt viel Zeit zu Hause mit Lesen, Stricken, Schlafen. Einmal pro Woche ist sie zwar noch verabredet. Aber der Umgang im Freundeskreis empfindet sie nicht mehr als so locker und vertraut wie früher. "Latent hat sich etwas verändert."  


Latent, dieses Wort verwendet auch die Soziologin Barbara Rothmüller – wenn auch in einem anderen Sinn: "Man spricht in der Soziologie davon, dass Freundschaften latent werden, wenn sich Lebenssituationen im Laufe des Lebens verändern, Menschen sich unterschiedlich entwickeln und der Kontakt nicht mehr so intensiv hält", sagt sie. Dann würden Freundschaften latent, also vorläufig ruhig gestellt. "Das konnten wir in der Pandemie beobachten."  

        

Rothmüller sitzt im Videointerview neben einer riesigen Monsterapflanze in ihrem Wiener Büro der Sigmund-Freud-Privatuniversität. In einer vierteiligen Studie hat die Soziologin zwischen April 2020 und Juni 2022 gemeinsam mit Kolleginnen die sozialen Auswirkungen der Kontaktbeschränkungen während der Pandemie in Deutschland, Österreich und der Schweiz untersucht. Dabei erhob sie teils bevölkerungsrepräsentative Stichproben, teils führte sie qualitative Einzelinterviews.

        

Die Pandemie ist vorbei, die Isolation bleibt

        

Grundsätzlich, sagt Rothmüller, könnten latente Freundschaften jederzeit reaktiviert werden. In ihrer Studie konnte sie jedoch feststellen, dass das oft schwerfällt. "Viele Menschen fühlen sich weiterhin sozial isoliert, weil sie zwar wissen, sie hätten Kontakte, aber es gelingt ihnen nicht mehr, daran anzuknüpfen." Bei Minderheiten ließe sich das besonders stark beobachten: "Vor der Pandemie hatten zum Beispiel nur 14 Prozent der lesbischen oder schwulen Befragten gar keinen Kontakt zu Peers aus ihren Communitys, mehr als zwei Jahre später waren es doppelt so viele."

        

Auch psychosozial Belasteten falle das Wiederanknüpfen nach der Pandemie schwer, sagt Rothmüller: Alleinerziehende beispielsweise, Menschen, die unter Angststörungen oder Depressionen leiden, oder jene, deren soziale Kontakte durch Armut und längere Erwerbslosigkeit ohnehin eingeschränkt sind. "Denen fällt es schwieriger, die soziale Leistung zu erbringen, das Sozialleben wieder aktiv anzukurbeln."

        

"Missverständliche WhatsApp-Nachrichten, anstatt zu telefonieren"


Beate Schimichowski gehört zwar nicht in die Gruppe der psychosozial Belasteten. Sie verdient ausreichend Geld, ist familiär eingebunden. "Es könnte jetzt so leicht sein", sagt sie, "aber ich finde nicht in den Zustand vor der Pandemie zurück. Vielleicht liegt es am Lebensalter."   

        

Die Soziologin Barbara Rothmüller bestätigt, dass das Alter eine Rolle spielt. "Bei Jüngeren können wir sehen, dass sie sich schneller und flexibler neue Freundinnen suchen", sagt sie. Junge Menschen hätten mehr Gelegenheit, in Ausbildung, Studium oder Arbeit neue Leute kennenzulernen – die wiederum oftmals noch keine Kinder und damit mehr Zeit zur Verfügung hätten.  

        

Für Beate Schimichowski liegt die Hochphase enger sozialer Beziehungen etwa zwanzig Jahre zurück. "Da hatte ich sehr intensive Freundschaften, in denen ich mich viel ausgetauscht habe", sagt sie. Durch ihre beiden Kinder ergaben sich immer wieder neue Kontakte, auch die Hilfsbereitschaft untereinander war größer. Mit zunehmendem Wohlstand, sagt Schimichowski, seien sie und ihre Freunde weniger aufeinander angewiesen: Anstatt sich beispielsweise Dinge auszuleihen, kaufe man sie sich eher selbst. Schon vor der Pandemie hat sie sich also von alten Freunden entfernt. "Man schreibt sich heute lieber missverständliche WhatsApp-Nachrichten, anstatt zu telefonieren."

        

Zweierfreundschaften litten weniger

        

Doch nicht nur das Alter entscheidet darüber, wie soziale Beziehungen die Pandemie überstanden haben. Auch die Art der Freundschaft ist ein wichtiger Faktor: Was verbindet Menschen miteinander? Barbara Rothmüller unterscheidet zwischen Freizeitfreundschaften, die auf gemeinsamen Aktivitäten wie Sport, Feiern oder Kultur aufbauen, und intimen Zweierfreundschaften. "In diesen Beziehungen trifft man sich zum Spazieren, spricht über Probleme, passt gegenseitig auf die Kinder auf." Diese Freundschaften hätten unter der Pandemie deutlich weniger gelitten.

        

Für Beate Schimichowski sind es vor allem Freizeitfreundschaften, die sich entfernt haben: die Kontakte, die vor der Pandemie durch gemeinsame Kino- und Theaterbesuche lebten und denen plötzlich die Basis fehlte. Doch noch etwas anderes trug zu ihrem Entfremdungsgefühl bei: Als Krankenschwester war Schimichowski im Pandemiewinter 2020 zeitweise auf der Intensivstation eingesetzt und vor allem für die Beatmung von Covid-Patienten zuständig. Was sie dort sah, konnte sie nicht mit dem teils unvorsichtigen Verhalten in ihrem Freundeskreis zusammenbringen. "Ich habe gemerkt, dass deren Verhalten rein egoistisch geprägt war, das fand ich nicht okay."  

        

Schimichowski konnte die Unbekümmertheit ihrer Umgebung nicht nachvollziehen – und distanzierte sich von ihren Freundinnen. Die Soziologin Barbara Rothmüller stellte jedoch auch den umgekehrten Effekt fest: Berufsgruppen, die in ihrem Alltag viel mit Menschen zu tun hatten, Polizistinnen, Sozialarbeiter und Beschäftigte im Krankenhaus wie Schimichowski, seien von vielen aktiv gemieden worden. "Das hat sicherlich Spuren hinterlassen." Gleiches galt für Menschen, die mit Kindern zu tun haben, also Eltern, aber auch Erzieherinnen, Lehrpersonen und Pädagogen. Sie wurden in der Hochzeit der Pandemie als besonders ansteckend wahrgenommen, schlicht, weil Kinder als Krankheitsüberträger galten.  

        

Und eine weitere Personengruppe hat Rothmüller in ihrer Forschung identifiziert: "Tragisch fand ich, dass Männer zu Beginn der Pandemie schlagartig stark sozial isoliert waren", sagt sie. 17 Prozent der Männer in ihrer Befragung gaben während der Corona-Anfangsphase an, ihre Beziehungen als stark distanziert zu erleben – aber nur zehn Prozent der Frauen. Daran könne man beobachten, wie stark vergeschlechtliche Muster wirken: "Frauen sind darauf sozialisiert, viel emotionale Arbeit in soziale Beziehungen zu investieren. Von ihnen werden tragfähige Beziehungen stärker geschultert, aber auch stärker erwartet."

        

Tragfähige Beziehungen prägten auch Beate Schimichowskis Leben einmal sehr. Das wird deutlich, wenn sie aus ihrer Vergangenheit erzählt, beispielsweise davon, wie sie mit Verbündeten ein Bielefelder Freibad vor der Schließung bewahrt hat. Im Verlauf der letzten Jahre, im Verlauf der Pandemie, sind ihre Freundschaften, um es in den Worten der Soziologin Rothmüller zu sagen, zunehmend latent geworden. Schimichowski hält den Stein ihrer Silberkette in der Hand. "Ich wünsche mir, dass ich mir mein Leben wieder zurückerobere."

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